Heute hatte ich mal Lust auf einen Blickwechsel bei der Geschichte um mein Alter Ego jeykey, der dunkelsten aller Herrscherinnen hier im Spiel und Leiterin der Gilde Heilige Bruderschaft und habe daher eine neue Reihe gestartet: Die Erzählungen von Eramus. Have fun!
Tagebuch einer dunklen Herrscherin
Wie unscheinbar es auf dem Tisch lag. Ein einfacher Tisch, aus Ebenholz. Wenn man an ihm saß, konnte man die Egoran-Höhen sehen. Ein Ausblick, den sie genoss. Der Einband aus abgegriffenen dunklen Leder umarmten die groben Seiten aus Papyrus-Fasern. Daneben stand ein Tiegel mit der Tinte des Dunklen Tiefseekraken. Wie viele waren wohl bei den unzähligen Versuchen, dieses Tier mit der dunkelsten Tinte aller Krakentiere zu fangen, gestorben? Hunderte, Tausende? Es musste aber diese Tinte sein und keine andere.
Das hatte ihr Leibdiener erfahren müssen. Der arme Tor hatte es gewagt, in seiner Not die Tinte des gewöhnlichen Kraken in den Tiegel zu füllen, ohne es ihr zu sagen. Er lebt nicht mehr . Sein Tod soll grausam gewesen sein, nicht mal die härtesten ihrer Krieger wagen es, von dieser Bestrafung zu sprechen. Dabei rühmen sie sich mit Grausamkeiten, die ich nicht zu sehen im Stande wäre.
Der Versuch, sie an zu lügen, sie zu hintergehen, sie zu täuschen – das hatte zu seinem grausamen Ende geführt. Ich weiß, sie ist unerbittlich, sie hat dunkle Seiten, so dunkel, dass eine Supernova in ihr nicht für den winzigsten Bruchteil der Zeit Licht bringen könnte. Der Teufel selber würde in ihrer Dunkelheit Angst erfüllt zu Stein erstarren. Das ist fürwahr keine Übertreibung. Ich weiß aber auch, dass, so dunkel ihr Herz sein mag, so unerbittlich sie ihren Feinden und jedem, der sich ihr in den Weg stellt, gegenüber ist, so gerecht und so fürsorglich ist sie. Es klingt für viele paradox, aber glaubt mir, es ist so. Wenn man sie nicht anlügt und sich redlich bemüht, all seine Kraft und Energie in seine Handlungen steckt, dann kann sie verzeihen, wenn man versagt. Man sollte das tunlichst nicht wiederholen, denn Geduld, nunja, ihre Stärke ist sie nicht. Hätte er ihr gesagt, dass noch keine der ausgesandten Jäger den Kraken gefangen und die Tinte geerntet hat, er würde vielleicht noch leben. Er dachte, sie würde den Unterschied nicht erkennen. Falsch gedacht.
Es war strengstens untersagt, es zu öffnen, geschweige denn, darin zu lesen. Dennoch lag es auf dem Tisch, sichtbar für alle. Eine Prüfung? Keiner wollte die Antwort auf diese Frage mit seinem Leben bezahlen. Jeden Morgen, wenn ich das Zimmer aufräumte, hatte ich es in Händen, legte es zur Seite und polierte den Tisch. Das Wachs der wilden Erdbiene, die tief in den dunklen Höhlen der Grusaklandschaft ihre Nester baute, musste mühsam in das Ebenholz poliert werden, bis ein matter, stumpfer Glanz entstanden war. Die Aufgabe war erst zu ihrer Zufriedenheit erledigt, wenn das Wachs vollständig eingearbeitet war. Nichts durfte kleben oder Spuren auf Händen, Papyrus oder Buch hinterlassen. Erst dann legte ich das Buch wieder an seinen Platz, überprüfte den Füllstand des Tiegels und kappte den Federstiel, damit er weiterhin seine Aufgabe erfüllen konnte. Die Jäger müssten wieder den Königsfalken jagen – noch drei Tage, dann würde diese Feder verbraucht sein.
Ich erinnerte mich an den Tag der Wahl. Sie hatte mich, die einfache Küchenhilfe, gewählt. Tränen liefen die Wangen meiner Mutter hinab, als ich es ihr sagte. Keine des Glücks oder der Freude ob der Beförderung. Keiner der Leibdiener unserer großen Herrscherin hatte zwei volle Mondzyklen lang gedient. So waren es die Tränen einer Mutter, die fürchtete, dass sie ihren eigenen Sohn überleben würde. Gaiaus, Magier und engster Vertrauter unserer Herrscherin, beobachtete mich, als ich meine Sachen packte. „In einem Mondzyklus wird dich Eramus für einen halben Tag
besuchen können. Ansonsten hat er seiner Herrin zu dienen, wann immer sie es wünscht.“ Wenn er solange lebt, musste er aus Erfahrung gedacht haben. Meine Mutter hielt mich fest, so fest, als ob sie mich nicht mehr gehen lassen wollte. Ein Räuspern von Gaiaus. Er wollte los – sie warten zu lassen war keine gute Idee. Ich nahm mein Bündel und ging zur Tür, an der Gaiaus ungeduldig drein blickend stand. „Bis zum nächsten Mond, Mutter!“ Das ist jetzt acht Monde her. Und immer noch diene ich ihr, räume wie jeden Morgen das Buch zur Seite, um es, wenig später, auf den frisch polierten Tisch zu legen.
Es war in einer dunklen Winternacht, als der Koch mich mit dem Essen zu ihr schickte und ich ihr so das erste Mal begegnete. Ich sollte mich beeilen, damit die Suppe nicht kalt würde, hatte er mir nachgerufen, bevor er in hässliches Gelächter ausbrach. Er war wütend auf mich gewesen, da ich Gaiaus Essen an diesem Mittag nicht weiter salzen wollte. Gaiaus war gerade in diesem Augenblick in die Küche gekommen und bestand darauf, das Essen so zu essen, wie ich es zubereitet hatte. Das genüssliche Grinsen des Kochs wich schnell einem panischen Gesichtsausdruck, als Gaiaus das Essen nicht nur lobte, sondern ausdrücklich verlangte, dass ich von nun an sein Essen alleine zubereiten sollte. „Warte nur,“ hatte der dicke Koch gegrinst, als Gaiaus die Küche verlassen hatte, „du bekommst noch heute, was du verdienst.“ Direkt konnte er nichts machen. Gaiaus war zu mächtig. Aber, wenn sie meinen Tod befehlen würde, dann könnte auch Gaiaus nichts dagegen machen.
Als Küchenhilfe stand es mir nicht zu, ihr das Essen zu bringen. Den Befehlen des Kochs nicht Folge zu leisten, war jedoch genauso tödlich. Was ich auch tat, es würde immer mit dem selben Ergebnis enden. Die Strafe durch sie wäre sicher härter, aber ich wollte dem Koch nicht die Genugtuung lassen, mich aufgrund von Arbeitsverweigerung töten zu lassen.
Mit Todesangst klopfte ich an die schwere Tür aus edelstem Terakholz. Ich staunte jedes mal, wie die Holzschnitzer es schafften, filigrane Motive in dieses Material zu treiben. Ein genervtes Ja drang an meine Ohren. Mit meinem ganzen Mut öffnete ich die Tür, betrat den Raum und erklärte: „Ich bringe euer Essen, Herrscherin.“
„Seit wann bringt der Koch es nicht selber?“
„Er bat mich, euch das Essen zu bringen.“ antwortete ich leise.
„Das beantwortet meine Frage nicht.“
„Ich kann es euch nicht sagen, Herrscherin, ich weiß nicht, warum er mich geschickt hat.“
„Um dich zu bestrafen, warum sonst?“
Ich war erstaunt, wie konnte sie von den Vorfällen in der Küche wissen?
„Oder etwa nicht?“
Ich stammelte völlig unverständliches Zeugs – meine Angst war in Mark und Bein gefahren.
„Stell das Tablett auf den Tisch!“ Ich kam der Aufforderung nach – konnte sie, die große Herrscherin, immer noch nicht sehen, da die Kerze auf dem Tisch einfach zu wenig Licht ausstrahlte.
„Nimm den Stuhl da vorne und gesell dich zu mir.“
Das war wirklich das Letzte, das ich erwartet hatte. Schnell kam ich auch dieser Aufforderung nach. Warten lassen ist tödlich. Die erste Regel, die man hier in der Festung lernt.
„Ich liebe den Anblick der Nordlichter. Nur in diesen klaren Winternächten kann man sie hier sehen. Kein Fensterglas soll den Anblick trüben, daher mein Wunsch nach einer guten, heißen Suppe, um mich aufzuwärmen.“ Sie schob die Kerze in meine Richtung, lehnte sich in den Sessel zurück und aß.
„Was ist in der Küche passiert? Warum schickt er dich hierher, obwohl jeder weiß, dass keine Küchenhilfe diese Räume betreten darf? Hast du die Kartoffeln nicht richtig geschält?“
Sie lachte. Es war nicht so ein Lachen wie vom Koch eben, es war freundlich und leicht amüsiert.
„Ich schäle sie ganz gründlich. Ich entferne nicht zu viel Schale – und kein Hauch von Schale ist mehr an ihnen dran.“ entgegnete ich entrüstet – und erschrak sogleich über meine eigenen Forschheit.
„Dann befolgst du gründlich die Anweisungen des Kochs?“
„Ja, ich tue alles mit der gebotenen Gründlichkeit, ohne zu trödeln. Meine Mutter hat mir das so beigebracht.“
„Deine Mutter, aha. Und dein Vater?“
„Er starb, als ich drei war.“
„Sie hat dich also alleine großgezogen?“
„Ja, uns vier, um genau zu sein.“
Stille, durfte ich jetzt etwas sagen? Oder sollte ich warten, bis sie mich wieder ansprach? Warum lebte ich eigentlich noch? Ich war verwirrt und konnte nicht recht glauben, dass das alles geschah.
Es vergingen fünf Minuten, sie kamen mir vor wie hunderte. „Ich möchte jetzt von dir wissen, was in der Küche passiert ist.“
„Nichts Herrscherin, vielleicht stand einfach kein Diener zur Verfügung, so dass er mich schickte? Er ist ein guter Koch und kennt meine, äh, Gründlichkeit.“
„In der Tat steht kein Diener zur Verfügung. Der Koch weiß, dass es dann seine Aufgabe ist, mir das Essen selber zu bringen. Wie ist dein Name?“
„E, E, Eramus“ stammelte ich.
„Nun, Eramus.“ Pause. „Ich frage dich jetzt ein drittes Mal: was ist in der Küche passiert?“
Die Betonung des dritten Males ließ nichts Gutes vermuten. Ich berichtete ausführlich von den Vorfällen des Tages in der Küche. „Er ist wirklich ein guter Koch, er muss übersehen haben, dass das Essen bereits gut gesalzen war“ beendete ich meinen Bericht.
„Warum hast du den Koch, der dich hierher geschickt und damit dein Schicksal besiegelt hat, so lange gedeckt?“
„Ich weiß nicht, Herrscherin. Vielleicht weil ich einen Befehl nicht befolgt und dafür bestraft werden muss?“
„Befehle sind so eine Sache, Eramus. Sicher muss man sie befolgen. Aber ein Befehl aus Arroganz, Selbstverliebtheit oder Selbstüberschätzung, einem solchen Befehl, der ein versalzenes Essen oder den Tod hunderter Armee-Einheiten zur Folge haben kann, einem solchen Befehl nicht nachzukommen zeugt von intelligentem Gehorsam.“ Ich konnte deutlich spüren, wie sie mich musterte. „Ich habe neue Aufgaben für dich Eramus. Gehe jetzt zu Gaiaus und richte ihm folgendes aus: ich habe die Wahl getroffen und,“ sie legte eine kurze Pause ein, „ und ich bin dieses Essens überdrüssig. Geh jetzt und schließ' die Tür hinter dir.“
Gaiaus hatte ich aus dem Schlaf gerissen. Sein Unmut wich schnell, als ich die Botschaft überbrachte und er erkannte, wer mich geschickt hatte. Er musterte mich genau. „Du weist wo das Zimmer ihres Leibdieners ist?“ „Ja, Herr, ich weiß wo das Zimmer ist.“ „Gut, dann hol dein Hab und Gut und bringe es dorthin. Morgen früh weise ich dich ein. Ach, und bevor du gehst, gib das einem Magmalord.“ Er schwang seinen Todeshauch. Aus dem Nichts entstand ein Pergamentblatt, Zeichen tauchten auf ihm auf, sodann rollte es sich zusammen und ein rotes Siegel aus Wachs versiegelte die Botschaft, die Gaiaus dem Pergament aufgezwungen hatte um letztlich in meine Hände zu fallen. „Sofort“ mahnte er.
Im Zimmer angekommen, versuchte ich zu verarbeiten, was passiert war und wie unheimlich diese Magmalords waren. Ich war ihr Leibdiener geworden, das hatte sie mit „ich habe die Wahl getroffen“ gemeint. Ein Glücksgefühl durchströmte mich um gleich von Angst übermannt zu werden. Keiner war in dieser Funktion sehr alt geworden. Aber eben machte sie einen, ja, einen netten Eindruck. Sie konnte sogar mit Ungehorsam leben, wenn dieser eine vernünftige Motivation hatte. Vielleicht sind die anderen an ihrem blindem Gehorsam gescheitert? Am nächsten Tag kannte ich auch den Inhalt der Pergamentrolle von Gaiaus, die Küche musste renoviert werden. Der Koch war spurlos verschwunden, oder Teil des Bodens geworden.
Ich dachte oft an diesen Tag zurück, während ich meinen Aufgaben nachging. Er hatte mein Leben verändert. Und er erlaubte mir einen Blick auf die große Herrscherin, den kaum ein anderer hatte. Das Dunkle an ihr kannte jeder, auch viele, die sie gar nicht kennen lernen wollten, doch die andere Seite war viel faszinierender. Vielleicht weil sie so selten zum Vorschein kam. Ich kann es euch gar nicht mit Bestimmtheit sagen. Aber, ich halte seit diesem Tag meine Erlebnisse fest, so dass die Nachwelt auch die andere Seite sehen kann. Auf Papyrus-Seiten in einem Einband aus dunklem, abgegriffenem Leder. Ganz so, wie das Tagebuch meiner Herrin, das ich jeden Tag in Händen halte, aber noch nie geöffnet habe. Mit dem Unterschied, dass ich nicht die dunkelste Tinte und nicht die Feder des Königsfalken nutze. Beide sind alleine ihr vorbehalten.